Zum Glück hat das Hotel Golfito Mario
Das „Hotel Golfito“ ist nicht gerade das Aushängeschild des Costa-Ricanischen Fremdenverkehrs. Die Zimmer sind so einfach wie abgewirtschaftet: Die Wände, mit abwaschbarer Farbe bemalt, sind verschmutzt, der Toilettensitz von unzähligen Sitzungen abgeschabt. Zwei Betten auf Metallgestellt, ein Ventilator, Dusche, Toilette, Waschbecken. Das „Golfito“ kann und will nicht mithalten mit den unzähligen luxuriösen Unterkünften in diesem Land, die 100 oder 500 Dollar die Nacht kosten. Im „Golfito“ ist das Bett für acht Dollar die Nacht zu haben ist, ist dennoch ein guter Platz. Es liegt unmittelbar neben dem Anleger der Puerto-Jimenez-Boote. Es ist ein bisschen Run-Down, aber nicht zum Fürchten. Und es hat Mario.
Mario, 60, ist Portier im Hotel Golfito. Sein Harr ist grau und kurz geschnitten. Er hat ein breites gutmütiges Gesicht, trägt Sandalen und Socken. Mario spricht mit einem leichten Lispeln: „25 Jahre habe ich nebenan an der Tankstelle gearbeitet. Seit acht Jahren bin ich in diesem Hotel. Die Duena hat die Tank stelle vor einigen Jahren verkauft. Zu viele Vorschriften, sie wollte das nicht mehr. Jetzt hat sie nur noch dieses Hotel. Ist eine gute Chefin. Sie behandelt und bezahlt mich gut.“
Im Fernsehen läuft die Fußballpartie San Isidro gegen San Jose. San Isidro macht ein Tor in der ersten Halbzeit. Der Kommentator ruft eine dreiviertel Minute lang „Goooaaal“, doch in den Gesichtern der Zuschauer im Vorraum des Hotels ist Entsetzen.
„Sie habe der Duena angeboten, auch dieses Hotel zu kaufen. Wollen es abreißen und was Neues, Modernes hier bauen. Ah, die Duena weiß nicht. Sie überlegt noch. Vielleicht macht sie es. Sie ist ja nicht mehr die Jüngste.“
Aus der Karaoke-Bar schräg gegenüber dröhnt Musik. Gestalten, allein oder in kleinen Gruppen, schlendern am Rand der nur schwach beleuchteten Straße, an der sich Golfito gewachsen ist. Ein schmaler Schlauch, viele Kilometer lang, nicht breiter als ein Handtuch.
Mario sitzt auf einem Holzstuhl auf dem Balkon, blickt auf die Hühnchenbraterei auf der anderen Straßenseite und gibt den Reisenden Tipps: „Wenn Du rüber nach Puerto Jimenez willst, nimm am besten das Schnellboot um fünf Uhr morgens. Ich klopfe um 4.30 Uhr an Deine Tür.“
„5 Uhr? Gibt es kein Schiff , dass später fährt.?“
„Um 11.30 Uhr. Aber das braucht eineinhalb Stunden. Mit dem Schnellboot bist Du in 20 Minuten drüben. Außerdem fährt das Schiff nicht, wenn Nebel aufzieht oder viel Wind ist. Das letzte Mal ist es vor drei Tagen gefahren.“
Mario nimmt einen Schluck aus einer Wasserflasche. „Besser früher. Am Ende kommst Du hier nicht weg. Um 20 nach fünf bist Du drüben, um sechs Uhr frühstückst Du, dann suchst Du in aller Ruhe eine Unterkunft und liegst um acht Uhr wieder im Bett und ruhst Dich aus.
Wenn Du aus Puerto Jimenez zurückkommst, nimm wieder das Schnellboot. Es fährt drüben um 6 Uhr ab. Dann bist Du um halb sieben hier und kriegst den Tracopa-Bus nach San Jose und Palmar Norte. Oder den nach Panama. Die fahren direkt, das ist besser.“
San Jose gleicht zum 1:1 aus. Mario steht auf, huscht in den Vorraum des Hotels, wo er noch den „Goooaaal“-Schrei des Kommentators und die Wiederholung der Szene mitkriegt. Dann setzt er sich wieder auf den Balkon: „Ich sage den Fremden immer, was am Besten ist. Man muss den Tourismus unterstützen. Der Tourismus ist wichtig für uns. Dieses Jahr kommen sowieso weniger Leute. Vielleicht wegen der Krise. Klar, wer seine Arbeit verliert oder den Kredit für sein Haus nicht mehr bezahlen kann, der reist nicht nach Costa Rica.“
Mario hat die Zeit noch erlebt, als der Ort Golfito der wichtigste Exporthafen Costa Ricas für Bananen war. „Damals fuhr noch die Eisenbahn hier durch den Ort. Und da drüben, wo jetzt die Wohnhäuser stehen, war früher ein großes Lagerhaus der United Brand Banana Company. 1985 war Schluss.“
„Was war passiert?“
Die Bananenplantagen wurden durch Krankheiten vernichtet. Außerdem gab es massive Streiks der Arbeiter. Daraufhin hat die amerikanische Bananenfirma ihr Geschäft hier dicht gemacht.
„Und dann?“
„Die Leute haben ihre Arbeit verloren. Golfito verarmte. 1990 beschloss die Regierung, hier eine Freihandelszone einzurichten, in der die Leute billig Elektrogeräte einkaufen können. Seitdem geht es wieder aufwärts. Heute kommen die Leute am Vormittag mit den Bussen an, und am Nachmittag fahren sie wieder weg. Packen Stereos und solche Sachen in die Busse ein und fahren wieder zurück nach San Jose, Cartago und San Isidros.“
„Und die Amerikaner?“
„Die jagen draußen auf Ozean die Drogenboote aus Kolumbien und Panama. Die Amerikaner haben schnelle Schiffe mit Waffen. Wir nicht. Manchmal legen sie hier in Golfito an. Dann kommen amerikanische Autos und Laster und versorgen die Kriegsschiffe, ehe sie wieder hinaus aufs Meer fahren.
Einmal haben die Amerikaner sogar ihre Panzer hier ausgeladen. Die sind direkt durch Golfito gefahren, vor dem Haus vorbei. Ich habe sie nicht gezählt. Das war, als sie drüben in Panama General Noriega gejagt haben.“
„Hat das Euch Costa Ricaner nicht gestört?“
„Schon. Wir haben ja selbst kein Militär. Ich weiß nicht, was die mit unserer Regierung ausgehandelt haben. Die Amerikaner sind ja auch woanders. Im Irak. In Afghanistan.
Ich mische mich da nicht ein. In der Politik gibt es nur Probleme. Viele Tote da drüben im Irak. Ich verstehe das nicht. Der amerikanische Präsident hat gesagt, die Iraker seien mit Schuld an den Anschlägen vom 11. September. Aber sie haben nie etwas gefunden, dass das beweisen würde. Sie haben auch Osama bin Laden nie gefunden, obwohl sie doch so tolle Geräte haben, so viel Geld ausgeben und mit so vielen Leuten nach im Irak und in Afghanistan sind. Komisch ist das schon.
Vielleicht wird es mit dem nächsten Präsidenten ja besser. Wie heißt der? Obama, Barack Obama, nicht? Er hat gesagt, dass er die Soldaten nach Hause holen wird. Besser so. Mit Waffen erreicht man nicht. Jeder will seinen Frieden. Ich auch. Ich baue mein Haus, Stück für Stück, immer, wenn ich wieder Geld habe. Ganz in Ruhe, dann regelt sich das schon, im Privaten wie in der Politik.“
„Wo steht Dein Haus?“
„Nicht weit von hier. Ein Kilometer vielleicht. Ich mache gerade eine Wand neu. Acht Meter breit, eineinhalb Meter Beton, darüber Holz. Das Holz ist morsch, das muss neu gemacht werden. Ich habe jemanden, der macht mir das für 300.000 Colones. Gute Arbeit.“
„Immer, wenn Du Geld hast?“
„Wenn ich genug gespart habe, mache ich die nächste Wand. Ich habe keine Eile.“
„Dann musst Du mittlerweile ein schönes Haus haben.“
„Kein Luxus, ein einfaches Haus. Aber ich und meine Familie fühlen und wohl dort. Ich will da nicht weg. Einmal hat mir ein Senor 40.000 Dollar für das Haus geboten. In den vergangenen Jahren kamen immer mehr Leute mit Geld. Sie kaufen Gelände und bauen sich darauf schöne Häuser oder teure Hotels.“
„40.000 ist ein guter Preis. Damit könntest Du Dir woanders ein noch besseres Haus kaufen.“
„Ich will nicht woanders hin. Von dort, wo ich jetzt wohne, kann ich zu Fuss zu meiner Arbeit gehen. Wenn ich mir weiter hinten in Golfito ein Haus kaufe, dort, wo die alten Verwaltungsgebäude der Bananenfirma sind, muss ich immer mit dem Bus fahren. Das ist umständlich und kostet mich mehr Zeit und Geld.“
Die Partie San Jose – San Isidro endet unentschieden. Eine Frau aus San Vito checkt noch spät in das Hotel ein. Mario gibt ihr den Schlüssel für das Zimmer. Er wird auch sie morgen früh um 4.30 Uhr wecken, damit sie rechtzeitig das Schnellboot nach Puerto Jimenez erreicht.
Am nächsten Morgen. Um Punkt 4.30 Uhr klopft Mario an meine Tür. Ich wasche mein Gesicht, ziehe mich an und setze mich zu Mario auf den Balkon. Die Frau aus San Vito ist auch schon da. Es ist noch dunkel. Die Dämmerung wird erst in einer halben Stunde beginnen. Mario sagt, wir sollten noch ein paar Minuten warten, ehe wir zum Bootssteg gehen. Um 4.50 Uhr erhebt sich Mario und begleitet uns die wenigen Meter bis zum Steg. Männer fischen im Dunkeln, andere liegen auf der Mole und schlafen. Die Frau und ich besteigen das kleine Schnellboot, 25 Sitze, zwei Motoren a 300 PS. In der aufziehenden Dämmerung rasen wir über den Golfo Dulce nach Puerto Jimenez. © Bergsturz