Auf der Suche nach Crazy Stone

Personen:

-Kowalski (Geschäftsreisender)

-Anna und Paul (ein Paar auf Forschungsreise)

-Soldat

-Kellner

-Musiker (kann auch den Schuhputzer spielen)

-Schuhputzerjunge

I

Die Begegnung

Eine Stadt in den Anden. Auf der Terrasse einer einfachen Kneipe. An der Wand ein Fernseher. Unruhige Bilder auf dem Bildschirm. Kowalski sitzt an einem Tisch. Er ist leger-elegant gekleidet. Vor ihm ein Bier. Hin und wieder nippt er daran. Er raucht und liest Zeitung. Ein Kellner geht lustlos an ihm vorbei. Kowalski sieht kurz auf, deutet auf sein Bier:

Kowalski: Otro.

Der Kellner geht weiter. Anna und Paul betreten den Raum. Sie haben Reisetaschen bei sich. Paul trägt zusätzlich eine schwere Tasche über seiner Schulter, in der eine Kameraausrüstung sowie ein Fernrohr stecken. Anna und Paul sehen sich unschlüssig um, gehen dann auf den Tisch von Kowalski zu.

Anna: Is it free?

Kowalski sieht kurz auf und deutet mit einer Hand auf die freien Stühle. Anna und Paul setzen sich umständlich. Der Kellner kommt heran, bleibt fragend vor ihnen stehen.

Anna: Two Coffee, please.

Sie hebt zwei Finger

Der Kellner murmelt für sich: „Dos cafe“, geht davon. Eine Weile Schweigen zwischen den Beiden.

Paul: Diese verdammten Kopfschmerzen.

Anna: Wir hätten doch nach Gran Canaria fliegen sollen.

Anna kramt in ihrer Tasche, reicht Paul eine Tablette.

Paul (fasst sich an den Kopf): Dann hätten wir genausogut zuhause bleiben können.

 

Anna: Der Teide hätte doch gereicht.

 

Paul: Du willst es nicht verstehen. Es kommt nicht nur auf die Höhe an. Auch auf die Lage, das Klima, die Menge der fremden Lichtquellen. All das beeinflusst das Bild.

Paul schluckt die Tablette hinunter. Dann nimmt er eine Kamera aus seiner Tasche und fotografiert über den Platz. Schweigen. Der Kellner bringt zwei Kaffee, dazu ein Glas mit Eiswasser. Anna greift zu dem Eiswasser, nimmt einen Schluck.

 

Paul: Hoffentlich ist das abgekocht.

 

Anna: Irgendwann kriegt man sowieso die Scheisserei.

Paul: Das ist das Letzte, was wir gebrauchen können.

Paul nimmt ein Tuch und wischt damit den Rand seiner Tasse ab. Sie trinken und schweigen. Schließlich holt Anna einen Reiseführer aus ihrer Tasche, schlägt ihn auf:

 

Anna (liest): „Die Hochebene ist ein fremdartiges, staubiges, fast baumloses Plateau, mehr als 3500 Meter über dem Meeresspiegel. Es herrscht dort oben eine sehr weite, unheimliche Schönheit.“

(zu Paul): Meinst Du, wir kriegen dort noch Luft?

Anna blickt zu Paul. Der fotografiert weiterhin.

Paul: Man gewöhnt sich daran.

Anna: Woher willst Du das wissen?

Paul: Ich habe darüber gelesen.

Anna: Und wenn nicht?

Paul: Wir müssen. Schließlich wollen wir noch 2000 Meter höher. Ich brauche diese Weite und diese Trockenheit. Das sind die besten Voraussetzungen, um Crazy Stone zu beobachten.

Anna: Wahrscheinlich hätten wir den Stern auch vom Wallberg sehen können.

Paul verscheucht einige Fliegen, die um seinen Kaffee kreisen.

Paul: Komet!

 

Anna: Komet, wegen mir…

 

Paul: Klar, für Dich ist es egal. Für Dich geht es ja auch um nichts.

 

Anna: 12000 Kilometer weit fliegen, um einen Kometen zu fotografieren.

 

Paul: Crazy Stone ist eine Sensation! Fast würde er die Erde rammen. Das musst Du Dir mal vorstellen. Mit meinen Bildern wird man das analysieren können. Man wird bestimmen können, woher er kommt, wohin er fliegt und aus was er besteht.

 

Anna: Ich dachte, er fliegt eineinhalb Millionen Kilometer entfernt an uns vorbei?

 

Paul: Was ist das schon, kosmisch gesehen? Wenn Du den Schweif siehst, wird Dir klar werden, dass wir nur ein kleines, zerbrechliches Etwas sind. Ein Nichts im Vergleich zum All und zu diesem Kometen, der mit einem Schlag das Leben auf unserer Erde auslöschen könnte.

 

Anna: Ich will gar nicht wissen, was da draussen alles rumfliegt.

Paul hält sich seinen schmerzenden Kopf.

Anna (legt ihre Hand auf die von Paul): Auf dem Teide würdest Du Dich besser fühlen.

Paul holt eine Karte hervor, fährt darauf mit dem Finger herum.

Paul: Drei Tage noch bis zum Ascotan. Ich habe alles berechnet. Wir steigen zum nördlichen Kraterrand auf. 5400 Meter hoch! Es gibt keinen besseren Platz, um Crazy Stone zu beobachten. Keine Wolken, kein Regen, kein Nebel da oben. Nur Wüste um uns herum, staubtrockene Wüste.

 

Anna (blättert im Reiseführer, liest): Hier: „Achten sie auf Anzeichen der Höhenkrankheit. Sie kann lebensbedrohlich sein. Am besten, Sie bleiben nach ihrer Ankunft zwei, drei Tage in der Stadt, um sich zu akklimatisieren.“

 

Paul: Das müssen die schreiben, um sich abzusichern.

 

Anna: Die werden schon wissen, warum. Vielleicht sollten wir doch noch ein bisschen hier bleiben. Wir könnten uns ausschlafen, die Stadt anschauen und uns dabei allmählich an die Höhe gewöhnen.

 

Paul: Soviel Zeit haben wir nicht. Das würde meinen ganzen Plan durcheinander bringen.

Anna: Wir sind gerade erst angekommen.

Paul: Ich bin nicht zum Spaß hier. Ich habe einen Auftrag!

Anna: Und wenn etwas dazwischen kommt? Ein Bus, der kaputtgeht. Eine Steinlawine. Ein Erdbeben. Hast Du das einkalkuliert?

Paul: Das wird nicht passieren.

Anna: Wenn der Kocher streikt oder der Platz für unser Zelt nicht eben genug ist?

Paul: Der Kraterrand ist breit. Ich brauche Weite, endlose Weite. Das findet man nur da oben.

Anna: Wenn Wolken aufziehen?

Paul: Nicht um diese Jahreszeit.

Anna: Wie immer ist alles…

Paul: …alles ist kalkuliert. Das Risiko, das etwas schief geht, habe ich auf das Minimum reduziert. Ich habe selbst die Konzentration an Schwefeldampf berechnet. Kein Wissenschaftler betreibt soviel Aufwand, um Crazy Stone zu erforschen.

Schweigen. Sie trinken ihren Kaffee. Anna blickt über den Platz. Paul betrachtet seine Karte. Unruhige Szenen im Fernseher. Nachrichtensprecher reden eindringlich, Soldaten sind auf dem Bildschirm zu sehen. Ein Schuhputzer-Junge kommt herein, deutet auf Kowalskis Schuhe.

Kowalski: Cuanto?

Junge: Veinte.

 

Kowalski: Bueno, quince.

Der Junge kniet sich nieder, um Kowalskis Schuhe zu säubern. Als er fertig ist, nimmt er das Geld von Kowalski, dann rutscht er zu Paul rüber. Der winkt wortlos ab.

 

Junge: Son sucios.

 

Paul: Nein, no!

Er scheucht den Jungen mit einer unwirschen Handbewegung davon.

Paul: Lästige Leute hier.

Anna (blättert wieder in dem Reiseführer): Tawoche, das hört sich gut an: „Die Stadt ist wegen ihrer schönen Szenerie bekannt – sie ist umgeben von schneebedeckten Bergen. Da Tawoche in einer Höhe von nur 1600 Metern liegt, ist das Klima hier viel wärmer als auf der Hochebene. Und die Leute sind sehr freundlich.“ Was hältst Du davon?

Anna blickt auf, sieht erst Paul an, dann Kowalski, der in einer Zeitung liest.

Anna: Man kann auf einem alten Handelsweg durch die Berge hinwandern.

 

Paul: Wohin?

Anna: Nach Tawoche.

 

Paul: Unser Bus nach Aksu geht in drei Stunden.

 

Anna: Es soll dort sogar eine deutsche Bäckerei geben.

 

Paul: Was sollen wir in diesem Ort?

Anna: Es war nur eine Idee.

Paul: Du immer mit Deinen Vorstellungen. Der Ascotan ist unser Ziel. Das haben wir doch alles besprochen.

Paul rollt mit einem Entfernungsmesser über die Karte und dreht sie. Die Leute aus der Bar sehen gebannt auf den Fernseher.

Paul: Südwesten, von hier geht es immer nach Südwesten. In Aksu werden wir einen Mietwagen nehmen.

Paul legt die Karte zusammen, holt dabei mit den Armen aus und wirft das Bierglas von Kowalski um. Das Bier fließt über Kowalskis Hose.

Paul: Oh, excuse me.

Paul zieht ein Taschentuch hervor, reicht es Kowalski, der seine Hose damit abwischt.

 

Paul: We will order another one.

Kowalski winkt ab. Anna kramt nach einem weiteren Taschentuch, reicht es Kowalski. Der nimmt es, reibt sich damit die Hose trocken. Paul winkt nach dem Kellner, der auf den Fernseher starrt.

Anna: We’re very sorry.

 

Kowalski: Danke für das Mitgefühl.

 

Paul (stutzt einen Moment, dass er auf deutsch angesprochen wird): Diese Karten… (lacht kurz auf)

 

Kowalski: Die können Sie hier sowieso vergessen.

Paul: Wieso? Diese Karte ist die Grundlage.

Kowalski: Die Karten dieses Landes sind eine Fiktion. Man hat Straßen eingezeichnet, wo es keine gibt. Zu viele Berge. Zu viele Steine. Zuviel Sand. Zu große Phantasien.

 

Anna: Wollen Sie nicht doch ein neues Bier?

 

Kowalski (ruft zum Kellner): Otro, por favor.

 

Anna (reicht Kowalski die Hand): Anna. Und das ist Paul. Wir werden Ihnen natürlich die Reinigung Ihrer Sachen bezahlen.

 

Kowalski: Kowalski. Nein, keine Reinigung.

 

Paul: Vielleicht gibt es hier…

 

Kowalski: Das dauert viel zu lange.

 

Anna: In zwei, drei Stunden ist das erledigt.

 

Kowalski: So lange kann ich nicht warten.

 

Anna: Sind Sie auf Reise?

 

Kowalski: Sozusagen.

Schweigen

Anna: Wir sind gerade erst angekommen. Das war ein langer Flug hier rüber. 20 Stunden mit Umsteigen. In Miami mussten wir fünf Stunden warten.

Paul: Eine Frechheit, was die sich erlauben. Selbst als Transitpassagier muss man in das Land einreisen. Eine Stunde standen wir in der Schlange. Dann diese penetranten Fragen: Was wir dort wollen? Wie lange wir bleiben? Welchen Beruf ich ausübe? Geowissenschaftler, habe ich gesagt. Damit konnten die nichts anfangen. Schließlich Fingerabdrücke, Fotos, anschließend das Gepäck abholen und wieder neu aufgeben. Die sind ja wahnsinnig.

Anna: Wir werden nie mehr über Miami fliegen.

Paul: Nichts gegen Sicherheit. Aber was die dort treiben…

Anna: Man muss sich erst wieder an das Reisen gewöhnen. Diese Unruhe, die aufkommt. Vielleicht auch Angst. Vor dem Neuen, ich weiß nicht. Kennen Sie eigentlich den Ascotan?

 

Kowalski: Wen?

 

Anna: Den Berg. Wir wollen ihn besteigen.

 

Paul: Niemand sonst kennt den Ascotan.

 

Anna: Vielleicht doch. Möglicherweise hat er Informationen. Wie wir hinkommen. Was uns dort erwartet.

 

Paul: Wir wissen bereits alles.

 

Anna: Darum geht es doch gar nicht. (Zu Kowalski): Er redet seit Monaten von nichts anderem als diesen Berg. Er hat haufenweise Bücher gelesen.

Paul: Es hätte keinen Sinn gemacht, ohne exakte Planung hierher zu fahren.

Kowalski dreht sich ein wenig zur Seite, liest weiter in seiner Zeitung. Nach einer Weile.

Anna: Entschuldigen Sie, wenn wir Sie gestört haben.

 

Kowalski (deutet auf den Fernseher): Haben Sie sich auch darüber informiert?

 

Anna: Was?

 

Kowalski: Die Unruhen. Wenn Sie zu diesem Ascotan wollen, sollten Sie bald die Stadt verlassen.

Anna: Ein Putsch?

Kowalski: Offenbar haben die Militärs genug von den Politspielereien des Präsidenten. In den nächsten Tagen könnte es ziemlich ungemütlich werden.

Paul: Es wird schon nicht so schlimm werden.

Kowalski: Man muss mit allem rechnen: Straßensperren. Verhaftungen. Schießereien.

 

Paul: Die haben doch diesen Ultralinken als Präsidenten. Der Mann hat sowieso keine Zukunft.

Kowalski: Immerhin hat er eine Menge Anhänger im Volk. Die werden den Aufstand der Militärs nicht so einfach hinnehmen.

 

Anna: Das klingt spannend, nicht Paul?

Paul: Politik ist das eine. Mein Projekt etwas anderes. Es gibt keine Verbindungen.

Kowalski: Da wäre ich mir nicht so sicher.

Anna: Was soll man schon machen?

 

Kowalski: Ich werde schauen, dass ich wegkomme, solange die Stadt noch nicht völlig abgesperrt ist.

Anna: Wohin?

 

Kowalski: Nach Antofagasta.

 

Anna: Wo ist das?

Kowalski: Auf der anderen Seite der Berge, an der Küste.

 

Paul: Aha, wohl auf den Spuren von San Pedro, was?

 

Kowalski: Ich folge nie irgendwelchen Spuren.

Paul fasst sich an den Kopf, verzieht das Gesicht. Schweiß steht ihm auf der Stirn. Er erhebt sich, geht auf die Toilette. Im Gehen legt er kurz seine Hand auf Annas Schulter.

Anna (zu Kowalski): Ein eigenartiger Zufall, Sie hier zu treffen.

 

Kowalski: Man trifft ständig irgendwo irgendjemanden.

 

Anna: Ich meine, so weit weg von Zuhause.

Anna sieht ihn an, nimmt einen Schluck Kaffee, lächelt.

 

Anna: Ich rede vielleicht einen Blödsinn.

 

Kowalski sieht sie wortlos an.

 

Anna: Und ich dachte, Sie verstehen nicht.

Kowalski zuckt mit den Schultern.

Anna: Was halten Sie von seinem Plan, den Ascotan zu besteigen?

 

Kowalski: Berge sind wohl dazu da.

 

Anna: Er will von dort oben diesen Kometen fotografieren. Crazy Stone.

 

Kowalski: Wenn es ihm gefällt.

 

Anna: Er hat einen Forschungsauftrag, wissen Sie. Er will den Kometen mit einer Spezialkamera fotografieren. Paul meint, nirgendwo sei die Luft so klar wie an diesem Berg. Crazy Stone werde direkt drüberfliegen, so nah wie kein anderer Komet. Finden Sie das spannend?

 

Kowalski: Es ist zumindest ungewöhnlich.

Anna: Verrückt nicht?

Kowalski: Und Sie? Finden Sie das spannend?

 

Anna: Keine Ahnung, ob mich Sterne und Kometen interessieren.

 

Kowalski: Warum fahren Sie dann mit?

Anna: Paul wäre enttäuscht.

Schweigen. Paul kehrt zurück, setzt sich, sieht auf die Uhr.

Paul: Wir müssen los.

Anna (zu Kowalski): Nach Aksu.

Paul: Und von dort weiter zum Ascotan.

Anna: Kommt man auf dem Weg nach Antofagasta eigentlich in Aksu vorbei?

Kowalski: Je nachdem, welche Route man nimmt.

Paul (zu Anna): Wir nehmen den Bus!

Anna: Vielleicht fährt gar kein Bus mehr.

Sie sehen zum Fernseher.

Kowalski (erhebt sich): Ich muss ebenfalls weiter. Erst bringen die Putschisten den Präsidentenpalast unter ihre Kontrolle, dann die Medien und schließlich das ganze Land.

 

Paul: Sie übertreiben.

Kowalski: Es ist nicht so harmlos, wie es aussieht.

Anna: Wir müssten nur schauen, dass wir schneller als die Putschisten sind.

Paul: Lass Dich durch das Gerede nicht verunsichern.

Kowalski legt Geld auf den Tisch. Dann geht er Richtung Tür.

Anna: Hätten Sie denn etwas dagegen, wenn wir ein Stück mit Ihnen fahren würden?

Kowalski dreht sich um.

 

Paul: Auf keinen Fall.

 

Anna: Bis Aksu vielleicht?

Kowalski: Ich kann nichts versprechen.

Paul: Ich werde mich auf keine vagen Aussagen einlassen.

Anna: Immerhin fährt er in die Richtung.

Paul: Die Richtung allein nützt uns nichts.

Anna: Willst Du, dass Deine Forschungsreise hier schon zu Ende geht?

Paul: Davon kann überhaupt keine Rede sein. Ich habe einen Plan.

Anna: Vielleicht sollten wir ihn ein bisschen ändern, damit Du Dein Ziel rechtzeitig…

Paul: Wieso mein Ziel?

Kowalski: Was wollen Sie jetzt?

Paul (zu Anna): Ständig fällt Dir etwas Anderes ein.

Anna erhebt sich. Sie nimmt ihr Gepäck und geht hinter Kowalski durch die Tür.

 

Paul: Du hast also entschieden.

Paul folgt ihr.

© Bergsturz Mehr lesen? Mail an bergsturz_64@gmx.de

 

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