Andrea, der Subcapo, ist zuerst da. Um 7.30 Uhr stellt er seinen Fiat auf dem kleinen Parkplatz an der Straße von Crosano nach Chizzola direkt vor dem Kirchlein San Antonio ab. Zwei Kletterer, die in ihrem Auto übernachtet haben und nun frühstücken, beobachten, dass Andrea kurz zum Pinkeln hinter einen Busch tritt, sich dann eine Zigarette anzündet und dann wieder in seinem Auto Platz nimmt. Die Kletterer hören selbst durch die geschlossenen Türen hindurch die Musik aus dem Radio des Subcapo.
Der Capo lenkt seinen Volvo gegen 7.45 Uhr auf den kleinen Parkplatz. Er ist 50, und damit doppelt soviel wie der Sub. Er trägt eine dunkle Hose zu Hemd und Jacket, während der Sub zu einer blauen Arbeitsjeans einen stark gebrauchten schwarz-grauen Pullover sowie eine Schirmmütze trägt.
„Ah, so früh“, seufzt der Capo.
„Verdammt früh“, entgegnet Andrea.
„Und keinen richtigen Kaffee zum Frühstück. Ich habe meiner Frau schon tausend Mal gesagt: Nimm acht Löffel auf vier Tassen. Acht! Was macht sie? Sechs Löffel. Sechs reichen, sagt sie. Ah, woher? Schmeckt wie laue Plörre mit sechs. Ich hab ihr gesagt, ich lasse mich von ihr scheiden, wenn sie nicht acht Löffel nimmt. Aber die Drohung wirkt auch nicht mehr. Scheint ihr egal zu sein. Vielleicht wäre sie sogar froh. Du siehst auch nicht gerade frisch aus.“
Andrea: „Ach.“
Capo: „Ach was?“
Andrea: „War gestern bei Beppino. Bin erst um vier ins Bett.“
Capo: „Du bist jung.“
Andrea: „Nicht jung genug, um nicht drei Flaschen Rotwein zu spüren.“
Capo: „Drei ist ordentlich.“
Andrea: „Vielleicht eine zuviel.“
Capo: „Bei Beppino musst du aufpassen. Du denkst, der hat schon vier Gläser intus, dabei sind es erst zwei. Beppino lockt dich in eine Falle. Du liegst schon am Boden, und er steht immer noch gerade. Am nächsten Tag lacht er sich einen, wenn du dir vor Schmerzen den Kopf hältst. Wann kommen die anderen?“
Andrea: „Wie immer. Acht Uhr.“
Capo: „Die kommen nie um acht Uhr. Du musst sie früher bestellen. Halb acht, damit sie um acht hier sind. Ihr müsst heute fertig werden.“
Andrea: „Ich dachte, wir haben noch drei Tage.“
Capo: „Ihr arbeitet jetzt schon eine Woche an dem Zaun. Ich brauche euch morgen auf einer anderen Baustelle.“
Andrea: „Du weißt doch, wie die Jungs sind.“
Capo: „Wie, wie die Jungs sind? Ich bezahle sie. Also sollen sie auch ordentlich arbeiten. Ich kann doch verlangen, dass ihr in einer Woche fertig seid.“
Andrea: „Das ist ein komplizierter Zaun. So nah am Abgrund. Man muss vorsichtig sein.“
Capo: „Mit Motti habe ich so einen Zaun früher in drei Tagen gebaut. Zu zweit!“
Andrea: „Motti war ein Spinner.“
Capo „Der hat für Fünf gearbeitet.“
Andrea: „Und ist mit 38 gestorben.“
Capo „Nicht wegen der Arbeit. Weil er seine Frau nicht mehr ertragen hat.“
Andrea lacht: „Nun ja, sie war nicht die Schönste. Aber deswegen stirbt man nicht.“
Capo „Nicht die Schönste? Er hatte sich die Hässlichste im ganzen Tal geangelt. Wahrscheinlich hat er deswegen soviel geschuftet. In dem Punkt war Motti wirklich dämlich. Hat sich mit 19 die Erstbeste genommen, die keiner haben wollte.“
Andrea: „Ich weiß nicht.“
Capo: „Angeblich kommt es nicht auf das Äußere an. Natürlich kommt es das. Was nützt es dir, wenn du ein völlig verpickeltes Gesicht küssen musst. Wenn du auf dieser Frau liegst und gerade dein Ding in sie reinschieben willst und nach ihrem Busen greifst, aber da ist nur ein labbriger Haufen Haut. Das bringt dich doch runter. Ich sage dir: Motti war mit der nicht zufrieden.“
Andrea: „Sie war nicht hässlich, sondern hysterisch.“
Capo „Sie war hässlich und hysterisch. Hat ihn wegen jeder Kleinigkeit niedergemacht. Wenn er abends später nach Hause kam. Wenn er das Falsche eingekauft hat. Wenn er die Zahnpastatube nicht zusammengerollt hat. Aus allem hat sie ein Problem gemacht. Er hat mir selbst erzählt, dass es ein Fehler war, diese Frau zu heiraten. Ich habe ihm gesagt: Trenne dich von ihr. Suche dir eine andere. Es gibt Tausende. Er sagte, das könne er nicht machen. Sie würde sich umbringen, wenn er sie verlasse.“
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