Canasta im Schneesturm

Sechs Tage Basislager

Schlechtes Wetter am Khan Tengri

Erster Tag:

Sonntag. Eigentlich wollten Steffen und ich heute zum Lager I des Khan Tengri aufsteigen. Aber nun ziehen diese Wolken von Maida Adyr herauf. Dicke, schwere Regenwolken. Schieben sich über den 60 Kilometer langen Inylchek-Gletscher, langsam aber beharrlich, und verdrängen das verbliebene Blau über die 6000er nach Osten, nach China.

Seit eineinhalb Wochen sind wir nun hier oben. Im Basislager des Khan Tengri, 4000 Meter über dem Meeresspiegel, auf einer Seitenmoräne des Gletschers gelegen. Bislang hatten wir gutes Wetter. Königswetter. Ein stabiles Hoch, und wir mittendrin. Wir dachten, das würde so bleiben, die nächsten zwei Wochen mindestens. Mann, da könnten wir den Khan Tengri besteigen und vielleicht noch den Pobeda, dieses riesige Ding da drüben im Süden, fast 7500 Meter hoch. Seit drei Jahren soll niemand mehr oben gewesen sein.

Zwei Akklimatisierungstouren am Khan Tengri haben wir bereits hinter uns. Bis Lager III auf 5900 Meter Höhe sind wir vorgedrungen. Jedesmal unter dieser verdammten Südostflanke des Chapaev hindurch. Mit eingezogenen Köpfen sind wir über den Gletscher geschlichen, drei Kreuze haben wir gemacht, obwohl wir nicht gläubig sind. Drei Kreuze, dass der Chapaev wenigstens für die nächste Stunde die Lawinen und Seracs und Wächten an sich halten möge. Was er aber nicht tat. Stattdessen schickte er einen ziemlich unfreundlichen Morgengruß zu uns herunter. Um fünf Uhr früh.

„Verdammt! Wann, wenn nicht um diese Zeit soll man da durchgehen?“, fragten wir uns und duckten uns hinter einem 15 Meter großen Eiswall. Mit bedrohlichem Grollen rauschte die Lawine heran. Dann kam der Sturm und mit ihm der feine Schneestaub, der durch alle Poren drang.

Fünf Minuten später hasteten wir weiter bergan über den frischen Lawinenschnee am Fusse dieses verdammten Berges, 22 Kilo in den Rucksäcken. Wir liefen so schnell, dass der Puls in unseren Köpfen hämmerte wie in einem Bergwerk und unsere Lungen fast zu platzen drohten. Eine Stimme rief: Mach langsam! Doch da war diese andere Stimme, die noch lauter rief: Lauf weiter! Mach schnell! Pfeif auf Deine Lunge! Noch zehn Minuten, dann bist du in Sicherheit!

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Nacht mit einer Unbekannten

Mit Frau Braun im Winterraum der Dolic-Hütte

Ich dachte, ich hätte den Winterraum der Dolic-Hütte für mich allein. Aber als ich mich gegen 19 Uhr schweißdurchtränkt dem 2151 Meter hohen Sattel nähere, in dem das kleine Winterhäuschen den Schutz der großen, geschlossenen Mutterhütte sucht, wundere ich mich über Stimmen. Viele Stimmen. Ein Mann baut sich vor mir auf: „Guten Abend, ich bin der Lehrer. Wir sind zwei Schulklassen, eine sächsische und eine tschechische. Wir kommen jedes Jahr zum Triglav.“

„Wieviel seid Ihr denn“, frage ich.

„33 Schüler und drei Lehrer. Und dann sind da noch zwei Kanadier. Die meisten liegen schon in den Lagern.“

Ich setze mich auf einen Felsbrocken und schneide Brot mit Speck auf. Ich lege keinen großen Wert darauf, eine Nacht mit einer Horde von 33 Halbstarken in einem engen Winterraum zu verbringen, der offiziell nur 16 Schlafplätze hat. Ich ahne, was auf mich zukommt: Drangvolle Enge, stickige Luft, Kichern, Glucksen, Prusten. Zusammengekauert in einer Ecke auf dem dreckigen Boden liegen. Alle 20 Minuten muss jemand auf die Toilette und steigt über mich rüber. Stirnlampen scheinen mir ins Gesicht. Kein Schlaf möglich.

Ich habe einen dünnen Schlafsack dabei. Ich könnte mir draußen zwischen den Felsen einen Platz suchen und frieren. Oder einfach weitergehen… Verdammt, können die nicht einen normalen Schulausflug machen? In den Bayerischen Wald, nach Budapest oder Straßburg?

„Du kannst Dir das Lager mit Frau Braun teilen“, sagt der Mann.

„Frau Braun?“.

„Eine Lehrerin. Sie schläft schon. Wenn Du reinkommst, gleich oben links.“

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