Krise im Paradies

Dezember 2008: Die weltweite Wirtschaftskrise macht vor keinem Land mehr Halt. Auch Costa Rica, Naturperle und Touristenmagnet in Mittelamerika, spürt zunehmend die Folgen des ökonomischen Abschwungs. Vor allem die Besucher aus den USA bleiben angesichts großer eigener Probleme zunehmend zuhause. Mit einschneidenden Konsequenzen für das kleine karibische Land, dass sich ganz dem Ökotourismus verschrieben hat und ein Refugium für zivilisationsmüde Nordamerikaner ist.

Manuel, der Dschungelführer aus La Palma, sieht die Entwicklung nüchtern. „Es gibt dicke Kühe, und es gibt dünne Kühe. Ebenso gibt es gute Jahre und schlechte Jahre. Jetzt kommen die schlechten.“

Manuel kommt gerade aus dem Corcovado-Nationalpark zurück, auf der Osa-Halbinsel, im Südwesten Costa Ricas, gelegen. Der Park ist ein ökologisches Juwel. Der Dschungel darf hier noch Dschungel sein – das wissen auch die Brüllaffen, Tapire und Quetzals zu schätzen.

Nachdem Manuel seine Klienten, ein Schweizer Päärchen, nach drei Tagen Dschungeltour wieder im Hotel abgeliefert hat, weiß er nicht, wann er seinen nächsten Auftrag haben wird. Das ist ungewohnt für ihn. Doch die mageren Zeiten machen sich auch in seinem Geschäft bemerkbar: „In den letzten Monaten kommen viel weniger Leute hierher. Wegen der Krise.“

Mit „die Krise“ meint er den wirtschaftlichen Absturz, der derzeit weltweit Unternehmen, Banken, Beschäftigte und Konsumenten in Atem hält – und teilweise in nackte Panik versetzt. „Die Krise“, die in den USA und den westlichen Industrienationen ihren Ausgang genommen hat, ist längst in den Entwicklungs- und Schwellenstaaten angekommen.

Costa Rica ist ein Indikator dafür, wie weit die wirtschaftlichen Verwerfungen mittlerweile in das reale Leben rund um den Globus hineinreichen. Das mittelamerikanische Natur-Einod hängt stark vom Zustrom nordamerikanischer und kanadischer Touristen ab. Sie machen 46 Prozent der rund zwei Millionen Ausländer aus, die jedes Jahr das schmale Land zwischen Atlantik und Pazifik besuchen. Der Tourismus spült jährlich 1,9 Milliarden Dollar nach Costa Rica – knapp acht Prozent des Bruttoinlandsproduktes, wie das staatliche Tourismusinstitut ICT errechnet hat. Tausende von Herbergen – von der einfachen Cabana für 15 Dollar bis zum Luxusresort für 1000 Dollar pro Nacht ­­- haben sich darauf eingestellt, dass Jahr für Jahr im Dezember mit einsetzender Trockenzeit der Strom der Fremden die Betten und die Kassen füllt. Umso schmerzhafter, wenn genau diese Klientel nun zunehmend ausbleibt.

„Der Turismus bricht ein“, titelte kürzlich die landesweite Zeitung La Nacion. Um zehn Prozent habe der Tourismus in den zwölf Monaten bis Ende Oktober 2008 nachgelassen, stellte seinerseits das ICT fest. Und das war noch vor der heißen Phase des Wirtschaftstaumels. Seit November, so die Befürchtung in Costa Rica, dürften die Touristenzahlen nochmal deutlich zurückgegangen sein.

Mario kann dies unmittelbar beobachten. Der 60jährige ist Portier im Hotel Golfito in der gleichnamigen Kleinstadt an der südlichen Pazifikküste. Seit acht Jahren arbeitet er hier – und noch nie sind so wenige Touristen gekommen, wie in den vergangenen Wochen und Monaten: „Klar, wer seine Arbeit verliert oder den Kredit für sein Haus nicht mehr bezahlen kann, der reist nicht nach Costa Rica“, stellt Mario nüchtern fest und verfolgt mit einem Auge im Fernsehen die Fußballpartie San Jose gegen San Isidro. Er weiß um die Bedeutung des Tourismus für sein Land. Ohne die Fremden würde nicht nur die Region am Golfo Dulce, sondern das gesamte Land leiden. Ohne die Touristen würde die Fluglinie „Nature Air“ kaum Passagiere haben. Ohne die Touristen müsste das Schnellboot, dass hinter dem Hotel Golfito abfährt, seinen Dienst einstellen. Und ohne Touristen würden 13,3 Prozent der Beschäftigten im Land ohne Arbeit dastehen.

Mario ist ein gutmütiger Mensch mit kurzen, grauen Haaren. 25 Jahre lang hat er an der Tankstelle nebenan gearbeitet, bis seine Chefin sie verkaufte. „Zu viele Vorschriften“, sagt Mario. Doch auch ihr Hotel läuft seit einiger Zeit nicht mehr gut. Mario zeigt auf die vielen Schlüssel, die unbenutzt an der Wand hinter der Rezeption hängen, während San Jose zum 1:1 ausgleicht und der Fernsehkommentator ein langes „Goooaaal“ in das Land hinausschreit: „Ich gebe den Fremden immer gute Tipps. Das ist wichtig. Man muss den Tourismus unterstützen. Erst recht, wenn immer weniger Leute kommen.“

Die Fremden bleiben nicht nur aus, sie kehren dem Land auch zunehmend den Rücken. Jim Carnigan ist Immobilienmakler aus Florida, der sich vor drei Jahren am Ufer des Arenal-Sees zu Füßen des gleichnamigen Vulkans niedergelassen hat. Eine schöne Landschaft, in der sich zahlreiche US-Amerikaner ihren Traum vom Erst- oder Zweitwohnsitz erfüllt haben. Doch für Viele ist der Traum zuletzt angesichts des alarmierenden Schwundes ihrer privaten Bankkonten zur Belastung geworden. „Die Geschäfte laufen schlecht“, sagt Carnigan. „Viele ausländische Hausbesitzer wollen verkaufen, aber kaum jemand kauft“, klagt er und nippt an seinem Trinkbecher, während er mit der rechten Hand seinen Toyota Landcruiser durch die Kurven an den Ausläufern des Arenal lenkt.

Dabei ist der Einbruch im Costa-Ricanischen Tourismus-und Immobiliengewerbe nur die Spitze einer weitaus breiteren Entwicklung. Das wirtschaftliche Beben geht durch ganz Mittelamerika – und durch viele Branchen. Nach Schätzungen von Experten sind in der Region in den vergangenen Monaten 35000 Arbeitsplätze verloren gegangen – allein 19000 sollen es in Nicaragua und hier insbesondere in der Textilproduktion sein.

Die Krise lässt Federico am grundsätzlichen Kurs der Weltwirtschaft zweifeln. Federico ist Besitzer der „Cabanas The Corner“ in Puerto Jimenez, einer Siedlung am Rande der Osa-Halbinsel. Die Betten seiner Billigunterkunft bleiben neuerdings immer öfter leer. Er fragt sich, ob die Welt nicht zu schnell gewachsen ist. Vor allem China. Das könne nicht gut gehen: „Wenn China hustet, kriegen alle Anderen einen Schnupfen.“

Federico fragt sich auch, wie viele Menschen auf der Erde ein eigenes Auto fahren können: „Wenn künftig auch noch jeder Costa Ricaner und jeder Chinese Auto fährt, wird die Erde zu heiß. Das kann nicht funktionieren.“

Federico denkt an andere Lösungen. An einen besseren öffentlichen Transport. An neue und umweltfreundlichere Antriebe für Autos. An ein Leben nach dem Öl. Eine neue Wirtschaftsordnung, so seine Hoffnung, könnte auch der Beginn eines neuen wirtschaftlichen Aufschwungs sein. Und damit auch die Touristen nach Costa Rica zurückbringen. © Bergsturz

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