Zwei Bergsteiger geben derzeit mal wieder Gas in großer Höhe: Benedikt Böhm und Sebastian Haag wollen innerhalb einer Woche zwei Achttausender bezwingen. Die Strecke zwischen den beiden Himalayariesen werden die beiden mit dem Fahrrad überwinden.
Speedbegehung heißt das, was die beiden Mittdreißiger vorhaben. Das ist keine ganz unbekannte Disziplin in den Bergen. Sowohl Böhm und Haag waren in der Vergangenheit bereits flott am Berg unterwegs. Oder Christian Stangl, ein Österreicher, der sich zum Ziel gesetzt hatte, möglichst schnell rauf und wieder runter zu kommen. Und dabei der Wirklichkeit auch schon mal ein bisschen nachhalf, indem er sich auf dem Gipfel wähnte, obwohl er davon noch weit entfernt war.
Aus sportlicher Sicht ist das Höhenrennen sicherlich eine bemerkenswerte Leistung. Das Bergsteigen bringt es allerdings nicht weiter.
Denn letztlich ist es nicht relevant, ob ein Achttausender in 24 oder 48 oder 72 Stunden ab Basislager bestiegen wird. Es ist auch nicht relevant, ob die Eiger-Nordwand in zwei oder zehn Stunden gemacht wird. Oder ob die Nose in Rekordzeit unter Benutzung fragwürdiger Fortbewegungsmethoden (Festhalten an Haken, Hochziehen am Seil) durchrannt wird. Relevant ist in den Bergen der bislang unbestiegene Berg, die neue Route, der neue Schwierigkeitsgrad. Und auch das nur für eine sehr kleine Gruppe von Spitzenbergsteigern.
Die Bergsteiger haben ein Problem: Die meisten alpinen Probleme sind gelöst. Fast alle Gipfel sind bestiegen, die logischen, schönen, anspruchsvollen Routen sind durchstiegen. Was bleibt, ist eine Restmenge an extrem schwierigen und/oder extrem gefährlichen Routen an den Bergen dieser Welt. Das Risiko, diese Touren lebend zu überstehen, ist immens.
Also handeln Alpinisten wie Tiere und greifen in ihrer Not zum Instrument der Übersprungshandlung: Sie suchen sich Ersatzziele beziehungsweise Ersatzherausforderungen. Das Speedgehen am Berg ist so eine Aktivität. Das Schnellgehen ist technisch simpel. Man braucht nur eine möglichst große Lunge dafür. Die kann man sich antrainieren.
Doch genauso wenig, wie die Welt einen Erkenntnisgewinn aus dem Stratosphärensturz des Felix Baumgartner gewonnen hat, hieven Speedbegehungen den Alpinismus auf ein neues Niveau. Irgendwann wird jemand daher kommen, der zwei Achttausender in sieben oder sechs Tagen besteigt. Bitteschön, das ist nett und mag das persönliche Ego stabilisieren. In Wirklichkeit sind derartige Aktionen der verzweifelter Versuch nach ein bisschen Aufmerksamkeit in einer Welt, in der die meisten Rekorde bereits eingestellt sind.
Vielleicht sind die Kinder die wahren Alpinisten von heute. Sie erleben noch den Lauf des Bergbaches, tollen voller Freude im Neuschnee und begeistern sich über den Blick vom 1200 Meter hohen Alpengipfel ins Tal. Wie lange sie dort hinauf gebraucht haben, ist dabei völlig irrelevant.