Die deutsche Politik zeigt sich im aktuellen Covid 19-Pandemieausbruch im November 2021 erstaunlich entscheidungs- und handlungsschwach. Die Fallzahlen schnellen nach oben, die Intensivbetten sind bis an den Rand belegt, das ärztliche und Pflegepersonal ist an seiner Belastungsgrenze oder bereits darüber hinaus – doch die Politik agiert bemerkenswert langsam und halbherzig.
Das ist zu einem wesentlichen Teil der Bundestagswahl und dem damit verbundenen Regierungswechsel zu verdanken. Die bisherige und noch geschäftsführende Regierung mag und soll keine weitreichenden Entscheidungen mehr treffen. Offenbar sind die handelnden Akteure von den neuen Koalitionären sogar gebeten worden, sich zurückzuhalten.
Auf der anderen Seite ist die neue Regierung noch nicht im Amt und damit offiziell nicht in der Position, weitreichende Entscheidungen zu treffen. Die Pandemie hat sich für ihre vierte Welle also einen geschickten Zeitpunkt ausgesucht – das politische Vakuum im deutschen Herbst 2021.
Doch das ist es nicht allein. Bei genauem Hinsehen zeigen sich weitere Konstruktionsschwächen unseres politischen und gesellschaftlichen Systems:
–Schwache und langsame Entscheidungen: In Deutschland herrscht die Grundhaltung vor, dass vergleichsweise wenig in die persönlichen Rechte und Freiheiten des Einzelnen eingegriffen werden soll. Das ist grundsätzlich positiv, sympathisch und zu begrüßen. Das Individuum hat weitreichende Freiheiten und Entscheidungsmöglichkeiten. Im Fall einer nationalen Notlage wie derzeit offenbaren sich aber auch die Schwächen dieses Systems. Wo eigentlich schneller und strikter gesamtgesellschaftlich durchgegriffen werden müsste, um möglichst rasch wieder den Normalzustand (und damit unsere Freiheiten) zurückzugewinnen, zögert, zaudert und debattiert die Politik. Straff geführte Systeme zeigen in solchen Situationen deutlich mehr Effizienz. Das soll kein Plädoyer dafür sein, dass wir nun die chinesische Art der Staats- und Regierungsführung übernehmen. Wir könnten beziehungsweise sollten aber erwägen, in Zeiten von Notlagen auf straffere und schnellere Entscheidungen umzustellen.
–Grenzen des Föderalismus: Passend zu oben genanntem Aspekt erweist sich die Entscheidungshoheit auf Länderebene in Zeiten von Notlagen als suboptimal. Alle (Politiker) reden durcheinander und überbieten sich mit täglich neuen Vorschlägen und Ankündigungen. Was aber fehlt, sind effektive und schnelle Entscheidungen, basierend auf den Empfehlungen von Fachleuten, die der Gesamtheit, ganz Deutschland, nützen.
–Beendigung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite: Es ist nicht nachvollziehbar, dass in dieser Situation die epidemische Lage zum 25. November 2021 aufgehoben werden soll. In Zeiten, in denen die Zahl der Infizierten so hoch wie nie ist und die Intensivbetten nahezu komplett belegt sind, signalisiert die Politik, dass die Epidemie beziehungsweise Pandemie vorüber sein soll. Wer soll das verstehen?
–Krankenhausampel ist das falsche Instrument: Die Krankenhausampel ist aktuell das Messinstrument zur Beurteilung der Covid-19-Pandemie und zur Aktivierung von Maßnahmen. Dieses Instrument zeigt aber deutliche Schwächen: Die Ampel reagiert sehr spät – nämlich dann, wenn die Menschen bereits (schwer) an Covid-19 erkrankt sind. Oder anders gesagt: Die Ampel springt erst dann auf Rot, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Sinnvoller wäre es, die Messfühler der Ampel deutlich weiter vorne im Coronaprozess zu installieren. Oder, um im Bilde zu bleiben: Wenn das Kind noch nicht in den Brunnen gefallen ist, sondern noch über dem Rand lehnt und hinabzufallen droht.
–Die Bremser von der FDP: Die FDP verhindert in der neuen Regierung offenbar nicht nur das von einer Bevölkerungsmehrheit befürwortete Tempo 130 auf Autobahnen, sondern tendiert in der aktuellen Pandemie immer wieder dazu, eher weiche als harte Maßnahmen zu ergreifen. Teilweise versteigt sie sich hin zu kompletten Unsinn, wenn der FDP-Chef Christian Lindner erklärt, Kontaktbeschränkungen würden im Grunde nichts bringen. Wann bremst jemand diese Verharmloser und Runterspieler aus, die aus einer falsch verstandenen Haltung der persönlichen Freiheit heraus argumentieren? Denn die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo diese die Freiheit der Allgemeinheit einschränkt.