Nun soll es auch bei der Deutschen Bank einen Me-Too-Fall geben, also sexuell unkorrektes Verhalten von Männern gegenüber Frauen. Wobei, konkret handelt es sich um eine Frau, die angeblich diesen Vorwurf erhebt. „I want you“ titelt die Süddeutsche Zeitung (SZ) im Dezember 2021 und widmet sich der Angelegenheit über rund 10.000 Zeichen auf fast einer ganzen Zeitungsseite.
Damit hat die Redaktion dem Thema eine Menge Platz eingeräumt. Vermutlich setzte dort angesichts der Story, deren journalistisches Ausgrabungsergebnis sich die SZ selbst zurechnet (Zitat: „nach Informationen der Süddeutschen Zeitung“) Schnappatmung ein. Sexuelle Übergriffe sind immer ein Thema, ein hoch sensibles zumal, vor allem in diesen Zeiten, in denen Regisseure, Filmemacher, Manager und sonstige Männer (also eigentlich alle) Frauen üblicherweise in unziemlicher Weise nachstellen.
Konjunktive und Annahmen
Vielleicht hätten die SZ-Redakteure und namentlich die Autorin Meike Schreiber nochmal durchatmen sollen, ehe sie sich auf das glatte Feld der Verdachtsberichterstattung begeben. Denn der Text trieft vor Konjunktiven und unbewiesenen Annahmen, auch wenn die Schreiberin krampfhaft glauben machen möchte, dass die Me-Too-Vorwürfe einer früheren Mitarbeiterin die Bank „erschüttern“ würden. Da ist zu lesen, dass das Arbeitsklima bei der Bank „möglicherweise“ ein anderes ist als diese in ihrem Marketing vorgibt. Man liest von „mutmaßlichen Fällen“ und erfährt, dass staatsanwaltliche Ermittlungen gegen einen von zwei Managern eingestellt worden seien. Aha, laut Staatsanwaltschaft war da offenbar nichts dran. Beide Männer würden die Vorwürfe zudem zurückweisen.
Schließlich kommt auch Frau Schreiber nicht umhin zuzugestehen, dass es hier „wie in ähnlichen Fällen schwierig“ sei, „ein Gesamtbild zu liefern“. Wieso dann 10.000 Zeichen, fragt man sich, zumal die fragliche Deutsche-Bank-Frau, so erfährt man ebenfalls, ein Verhältnis mit einem der beiden Manager hatte und einen Chat mit dem anderen Manager führte, der „ins Sexuelle“ drehte – „offenbar nicht ganz ohne ihr Mitwirken“, so die SZ.
Bemerkenswert ist auch, dass die Frau, damals immerhin Ende 20 und gut ausgebildet (also wohl kein naives Küken), das Unternehmen aus Gründen, die nichts mit den angeblichen Übergriffen zu tun hatten, verlassen musste. Dagegen klagte sie. Sie wollte mindestens 100.000 Euro Schadenersatz. Irgendwann fiel ihr dann offenbar ein, auch noch das Argument der sexuellen Belästigung in diese Angelegenheit einzubringen.
Hypersensibilität mit Beißreflex
Wir wollen hier gar nicht unterstellen, dass in diesem Fall eine Frau aufgrund ihres Raufwurfs das Maximum für sich herausholen und sich darüber hinaus rächen wollte, indem sie unfeine Argumente hervorholte. Man könnte allerdings den Eindruck gewinnen, dass auf Seiten der Redaktion eine Hypersensibilität mit Beißreflex vorherrscht, die den Blick angesichts der mauen Faktenlage erheblich trübt. Frau Schreibers mühsam gestricktes Belästigungsepos schrammt jedenfalls nah an der Fahrlässigkeit vorbei. Bereits die Überschrift „I want you“ führt bewusst in die Irre – der Leser denkt hier an Sexuelles, so wie von der Redaktion gewollt. Tatsächlich, erfährt man im Text, bezieht sich dieses Zitat auf einen der beiden Manager, der eine berufliche Position mit der Frau besetzen wollte.
Me-Too scheint es auch in den Köpfen einiger Schreiber zu geben, die wie in diesem Fall ein Thema derart aufblasen, dass es am Ende 95 Prozent Luft enthält. Der Leser lernt dabei: So sieht Qualitätsjournalismus aus.