Die Aktienkurse fallen und fallen. Manche Papiere bröckeln vor sich hin, andere stürzen, wiederum andere sind bereits in ein tiefes Loch gefallen. Der Wert von Kryptowährungen ist ebenfalls im freien Fall. Angst hat sich in den vergangenen Tagen und Wochen an den Finanzmärkten breit gemacht, teilweise liegt gar ein Hauch von Panik über den Portfolios.
Zinserhöhungen und Kriegsangst
Die Gründe sind schnell genannt: Zinserhöhungen der US-Notenbank Fed auf der einen Seite: „Die Märkte zittern vor der Fed“ ist zu lesen. Und auf der anderen Seite die Furcht vor einem Angriff Russlands auf die Ukraine. Letzteres hätte in der Tat gravierende und nicht absehbare Folgen – auch für die Finanzmärkte. Sollte Vladimir Putin diesen Schritt gehen und einen Krieg anzetteln, kracht es auch an den Börsen. Nur, wie wahrscheinlich ist ein solches Szenario wirklich? Wird Putin am Ende die ganz große Auseinandersetzung mit einem großen Teil der Weltgemeinschaft wagen, um seine Interessen durchzusetzen? Wahrscheinlicher ist, dass er die Muskeln spielen lässt, um seinen Interessen Nachdruck zu verleihen und es letztlich zu einer diplomatischen Lösung kommt.
Zu den Zinserhöhungen. Erwartet wird, dass die Fed die US-Leitzinsen dieses Jahr drei- oder viermal um jeweils 0,25 Prozentpunkte erhöht und damit am Jahresende bei einem absoluten Zinssatz von 0,75 beziehungsweise 1,0 Prozent rauskommt. Das europäische Pendant EZB will zwar (noch) nicht an der Zinsschraube drehen, die Finanzwelt in Europa wird sich aber dem von den USA ausgehenden Sog wie auch der nach wie vor satten Inflation nicht völlig entziehen können.
Beim Leitzins zurück zur Normalität
Man reibt sich verwundert die Augen angesichts der irrational wirkenden Reaktion der Finanzmärkte. Sicher bedeuten Zinserhöhungen, dass wir uns von einer langen Phase der Niedrig- und Nullzinspolitik verabschieden müssen. Andererseits wäre ein Leitzins von 1,0 Prozent kein Beinbruch und längst auch keine Katastrophe, sondern lediglich die Rückkehr zu einer Art finanzmarktpolitischem Realismus. Betrachtet man sich die US-Leitzinsen über einen langen Zeitraum, sind Werte von 2 bis 3 Prozent der Normalzustand, während der aktuell niedrige Satz nahe Null die Ausnahme darstellt. So lagen die US-Leitzinsen im Jahr 2000 teilweise bei 6,0 Prozent. In den Folgejahren pendelten sie vielfach um Werte zwischen 2,0 und 4,0 Prozent mit Ausreißern nach oben und unten. Erst nach der Finanzkrise 2008 hatten sie eine Null vor dem Komma stehen, aber auch das nicht auf Dauer – 2018 lag der Wert schon wieder bei über 2,0 Prozent.
Ähnlich in der Eurozone: Über lange Zeit lag der Leitzins in den vergangenen beiden Dekaden bei oder deutlich über 2,0 Prozent.
Irrationales Handeln
Die Finanzmärkte beziehungsweise deren Akteure handeln also völlig irrational, wenn sie nun das Bild eines bösen Zinsgespenstes zeichnen, das Anlagen in Aktien unattraktiv machen und unsere Wirtschaft abschnüren werde. Die anstehenden Leitzinserhöhungen in den USA sind nicht nur die langsame Rückkehr zur Normalität; diese Maßnahmen kommen außerdem gut vorbereitet, weil lange angekündigt. Kein Finanzmarktteilnehmer muss ich überrumpelt fühlen.
Im Übrigen läuft die Wirtschaft jenseits und diesseits des Atlantik gut. Der Internationale Währungsfonds rechnet damit, dass sich die weltweite Wirtschaftsleistung 2022 um 4,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr erhöhen wird. In den USA soll es um 5,2 Prozent nach oben gehen, in Deutschland um 4,6 Prozent. Zudem dürfte die Coronapandemie nach Einschätzung zahlreicher Experten dieses Jahr unter Kontrolle gebracht werden. Und die Inflationsraten sollten deutlich geringer als bisher ausfallen, da der coronabedingte Basiseffekt des Vorjahres wegfallen wird.
Liebe Investoren, Aktienverkäufer, Analysten und Wirtschaftsprognostiker – auch wenn Ihr derzeit tief im Moll versunken seid, weil ihr Euch von Eurer Depression leiten lasst: die Lage ist besser als Eure Stimmung. Ihr übertreibt mal wieder. Eurer Wehklagen ob der angeblichen Zinsgefahr ist schlichtweg fehl am Platze.